Die Badewannenkurven-Problematik schlägt zu...

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chronos42
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Die Badewannenkurven-Problematik schlägt zu...

Beitrag von chronos42 »

Hallo zusammen,
vor vielen Jahren habe ich einen hp 8165a Funktionsgenerator defekt gekauft und repariert. Bei amplifier.cd findet man die Gerätebeschreibung und den Reparaturbericht.
Ich mag dieses Gerät und es ist mein bevorzugter Generator, ich kann es nicht so wirklich erklären warum eigentlich, aber es gibt eben Geräte die mag man und andere benutzt man nur wenn es nicht anders geht.

Er hat nun seit der Instandsetzung fast 10 Jahre problemlos funktioniert, aber vor einem Jahr hat er nun angefangen rasant zu altern. Seitdem gab es mehrere Ausfälle.
Der Offset lief plötzlich weg und die Amplitude begrenzte. Ursache waren zwei 2W Präzisionswiderstande in den Stromquellen der Endstufe, welche beide innerhalb kurzer Zeit ihren Widerstand deutlicht erhöht haben. Nach deren Austausch (was gar nicht so einfach war, 40,2Ohm 2Watt 1% bekommt man nicht bei Pollin...) und einem Neuabgleich lief er wieder. Einige Zeit später fiel der Sync Ausgang aus, Ursache ein weiterer hochohmig gewordener Widerstand, selbe Bauform wie die 40,2Ohm, selber Hersteller.
Kurz darauf begann das Signal sporadisch instabil zu werden und fiel zeitweise komplett aus, bis auf das Dreiecksignal. Ursache waren zwei defekte Reedrelais mit Kontaktproblemen und hohen Übergangswiderständen. Wurden beide ersetzt, bei der anschließenden Überprüfung aller Funktionen kam heraus dass auch die VCO Funktion nicht mehr gegeben war. War vielleicht schon länger so, ist mir nur nicht aufgefallen da ich das selten benötig. Die Frequenz lag extrem daneben und lies sich auch nicht mehr richtig steuern, zudem waren alle Ausgangssignale im VCO Betrieb verzerrt. Ursache war ein defekter LM324, alle 4 OpAmps funktionierten nicht mehr, vermutlich eine interne Unterbrechung der + Versorgung. Nach dessen Austausch läuft er nun wieder zu 100% und lies sich auch problemlos neu abgleichen. Erstaunlich übrigens dass der PLL Betrieb noch funktionierte, denn der war von dem Defekt ebenfalls betroffen, der Arbeitspunkt des VCOs hat nicht mehr gestimmt. Die PLL hat aber einen so großen Regelbereich dass der Fehler kompensiert werden konnte. Optimal hat die PLL aber mit Sicherheit nicht mehr funktioniert.

Mal sehen wie lange er nun funktionieren wird. Man sieht nun jedenfalls deutlich, dass die EOL Zeit seiner Bauteile gekommen ist. Das Gerät ist nun 36 Jahre alt und hat eine Menge Betriebsstunden (hauptsächlich beim Vorbesitzer) angesammelt, die Ausfallrate steigt nun stark an. Mal sehen ob sich das weiter fortsetzt oder ob es erst mal zum Stillstand gekommen ist.
Ich werde dieses Gerät solange am Leben halten bis ein defekter hp custom Chip dem ein Ende setzt. Aber es zeigt mal wieder wie problematisch es ist solche alten Geräte zu verkaufen. Sie laufen einfach nicht mehr vorhersehbar zuverlässig, egal wieviel Arbeit man da reingesteckt hat.
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Wusel
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Re: Die Badewannenkurven-Problematik schlägt zu...

Beitrag von Wusel »

chronos42 hat geschrieben: 24 Nov 2020, 00:01 Aber es zeigt mal wieder wie problematisch es ist solche alten Geräte zu verkaufen. Sie laufen einfach nicht mehr vorhersehbar zuverlässig, egal wie viel Arbeit man da reingesteckt hat.
Hallo chronos42,

wieso problematisch? Genau darum macht man das doch. Das kaputte Gerät hat man, damit man was zu tun hat und alle anderen nutzt man, damit man das auch tun kann. Wenn immer alles funktionieren würde wüsste man gar nicht, was man machen soll und - was viel schlimmer ist - man würde erkennen, dass die ganze Sammelei völlig sinnlos ist. :-)

Obwohl, in der Badewanne liegen kann auch sehr wohltuend sein.

Viele Grüße
Wusel
Hans_L
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Re: Die Badewannenkurven-Problematik schlägt zu...

Beitrag von Hans_L »

wie sagte mal jemand in einem anderen Forum:
"Wir reparieren Geräte und Maschinen um Geräte und Maschinen zu reparieren um Geräte und Maschinen zu........, die man eigentlich nicht braucht" :roll:
Gruß Hans
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ProgBernie
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Re: Die Badewannenkurven-Problematik schlägt zu...

Beitrag von ProgBernie »

Wusel hat geschrieben: 24 Nov 2020, 10:42 Obwohl, in der Badewanne liegen kann auch sehr wohltuend sein.
Solange man noch in der Badewanne liegt, gibt es keine Probleme. Die Probleme fangen da an wo die Badewanne aufhört. Bei einigen älteren Schätzchen hat die Badewanne aufgehört eine Wanne zu sein, da steht man nur noch vor der Eiger Nordwand. Benutzung hilft zumindest etwas dabei, aber einige Geräte muß man inzwischen praktisch jedesmal wenn man sie benutzen möchte erstmal reparieren. Frühe Digitalaera ist da auch betroffen, da fallen auch die ICs inzwischen aus weil die Passivierung damals teils noch nicht so gut war. Und der thermische Stress durch den hohen Strombedarf tut da sein übriges.
Gruß Bernd
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Wusel
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Re: Die Badewannenkurven-Problematik schlägt zu...

Beitrag von Wusel »

ProgBernie hat geschrieben: 24 Nov 2020, 15:11 Bei einigen älteren Schätzchen hat die Badewanne aufgehört eine Wanne zu sein, da steht man nur noch vor der Eiger Nordwand.
Jetzt muss ich an die Silberfischchen denken, die Sonntags in der Wanne verenden weil sie die glatten Wände nicht mehr hochkommen nachdem ich Samstags geputzt habe. Dabei wollte ich doch eigentlich nur chronos42 etwas aufmuntern, da der in letzter Zeit häufiger das EOL thematisiert und die Sinnfrage stellt.
chronos42
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Re: Die Badewannenkurven-Problematik schlägt zu...

Beitrag von chronos42 »

Hallo Wusel,

danke für das Aufmuntern.

Nun ja, die Sinnfrage besteht bei mir derzeit hauptsächlich darin das alles zu begrenzen.
Aber man kann Geräte aus dieser Produktionszeit auch nicht mehr verkaufen ohne die Gefahr dass der Käufer nach kurzer Zeit kommt mit: "funktioniert plötzlich nicht mehr." Das dürfte auch der Grund sein warum diese Geräte vom kommerziellen Gebrauchtmarkt praktisch verschwunden sind. Das kann sich kein kommerzieller Händler leisten wenn die Geräte nach dem Verkauf ständig ausfallen. Ich musste selbst schon mehrfach feststellen, dass länger nicht genutzte Geräte, die ich vor dem geplanten Verkauf gründlich getestet habe, wieder Fehler zeigten. Das wird irgendwann ein Fass ohne Boden, das geht nur bei den Geräten, an denen man wirklich hängt, ansonsten muss man auch mal zur Schadstoffsammlung damit. Ich habe da mittlerweile eine immer geringere Hemmschwelle. (Nein, der 8165a hat lebenslanges Bleiberecht bei mir, dieses Gerät wird, zumindest von mir, nicht verschrottet, obwohl er seit einem Jahr geradezu darum bettelt.)

Und zu "meinem persönlichen" EOL hat mir meine Versicherung, bei der ich schon lange eine Arbeitunfähigkeitsversicherung habe, vor ein paar Tagen ein altersgemäßeres, ganz spezielles und freundliches Angebot gemacht: Eine Sterbeversicherung zu ermäßigtem Preis, wenn ich noch vor dem Jahreswechsel abschließe. Mal nachfragen ob das auch für meine Geräte gilt oder nur für mich... :D
Zuletzt geändert von chronos42 am 01 Mär 2021, 09:17, insgesamt 1-mal geändert.
chronos42
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Re: Die Badewannenkurven-Problematik schlägt zu...

Beitrag von chronos42 »

ProgBernie hat geschrieben: 24 Nov 2020, 15:11 Frühe Digitalaera ist da auch betroffen, da fallen auch die ICs inzwischen aus weil die Passivierung damals teils noch nicht so gut war. Und der thermische Stress durch den hohen Strombedarf tut da sein übriges.
Das ist etwas, was ich seit längerem auch beobachte. Sowohl analoge als auch digitale ICs aus den 70er und 80er Jahren fallen immer häufiger aus. Fast immer sind es Totalausfälle, keine Teilausfälle. Ich vermute dass aufgrund von Elektromigration oder Korrosion die strommäßig stark belasteten Versorgungsverbindungen im DIE oder die Bonddrähte Unterbrechungen bekommen. Das Fehlerbild ist nämlich fast immer identisch: Totalausfall aller Funktionen gleichzeitig. Vermutlich sind es kleinste Fertigungsfehler, die Jahrzehnte später zum Ausfall führen. In den 70er und 80er jahren waren die Fertigungstoleranzen viel größer als heute. Man kann aber keinem Hersteller einen Vorwurf machen, die Bauteile haben ihre geplante Nutzungsdauer bereits weit überschritten.

Degradation ist ein weiteres Problem. Ich habe hier einige ausgetauschte diskrete Halbleiter, die auf den ersten Blick völlig in Ordnung zu sein scheinen. Die billigen Universaltester, die irgendwie alles aber aufgrund ihrer Limitationen fast nichts richtig testen können, zeigen voll funktionsfähige Bauteile an. Erst bei genauerer Analyse sieht man dann mitunter groteske Abweichungen von den Datenblattangaben. Mein Favorit in letzter Zeit war ein N-Kanal FET. Chinesischer Billig-Transistortester zeigt N-Kanal FET, also alles ok? Das Gerät (in dem Fall ein hp Gain/Phase Meter) funktionierte aber auf einem Kanal nicht, die Fehleranalyse lies nur den Schluss zu, dass dieser FET defekt sein muss. Ein wesentlich besserer Tester (Schleichwerbung: peak atlas DCA 75) zeigte detailierter, dass erst bei positiver G-S Spannung ein Strom D-S floss. Bei 0V am Gate flossen nur wenige µA. So etwas habe ich auch noch nie gesehen. Der Tek 576 zeigte tatsächlich recht normal aussehende Kurven, allerdings mit extrem kleinem gm. Solche vergleichbaren Kuriositäten habe ich in den letzten Jahren immer öfter gesehen.
Oscillar1
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Re: Die Badewannenkurven-Problematik schlägt zu...

Beitrag von Oscillar1 »

chronos42 hat geschrieben: 24 Nov 2020, 17:32
Aber man kann Geräte aus dieser Produktionszeit auch nicht mehr verkaufen ohne die Gefahr dass der Käufer nach kurzer Zeit kommt mit: "funktioniert plötzlich nicht mehr."
Hallo und guten Abend,
ein Käufer von so altem Gerät - 36 Jahre - sollte wissen das z.B. bildhaftes Zeigen im funktionsfähigen Zustand bei einer Auktion nur einen Augenblickszustand darstellt. Ich beschreibe das auch immer wenn ich aus der Sammlung mal wieder etwas anbiete. Ein Käufer muss wissen daß er auch mal selber reparieren muss.
Dafür erhält er ja auch ein Gerät für "lau", welchen vor 36 Jahren z.B. den Wert eines Mittelklassewagen kostete. Da kann man dann nichts erwarten als eine möglichst wahrheitsgemäße vorab Beschreibung und aussagekräftige Bilder. Wenn Fachleute etwas verkaufen, kann man das erwarten, genauso wie der Fachmann*innen als Käufer um die Probleme von 40 Jahre altem Meßgerät Bescheid wissen sollte.
Auch für deinen 8165A gibt es ja zahlreiche Geräte für niedrigen dreistelligen Wert momentan, so daß dein Lieblingsgerät auch wenn customized IC ausfallen sollten, jederzeit wieder instandgesetzt werden kann.

Grüsse
Debo
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Wusel
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Re: Die Badewannenkurven-Problematik schlägt zu...

Beitrag von Wusel »

Ah, ok. Ich hatte jetzt nicht an die Käuferschicht gedacht, die sich ältere dafür aber hochwertige Geräte zum reinen Gebrauch zulegt. Kann ja sinnvoller sein als Aktuelles zum selben Preis, das wahrscheinlich mehr kann aber von schlechterer Qualität ist. Bin da eher von mir ausgegangen, der das im Bewusstsein erwirbt statt eines Garantie- eher einen Pflegefall zu haben.

Den 8165a würde ich aber auch behalten. Hab' mal auf amplifier.cd geguckt. Mein in der Jugend auf Basis des XR 2206 gebautes Teil kommt da noch nicht so ganz heran. Obwohl der Schaltkreis auch mittlerweile schon dadurch geehrt wird, dass er als Fake zu haben ist.
chronos42 hat geschrieben: 24 Nov 2020, 17:32 ..., vor ein paar Tagen ein altersgemäßeres, ganz spezielles und freundliches Angebot gemacht: Eine Sterbeversicherung zu ermäßigtem Preis, wenn ich noch vor dem Jahreswechsel abschließe.
Na super, alles was man sich an einem trüben Novembertag erträumt. Bei der Versicherung musste wohl das Update für das KI gesteuerte CRM Modul noch unbedingt vor dem 1. Advent ausgerollt werden.
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